5 e. Briefe mit U.
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Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Maler. 5 e. Briefe mit U. Berlin, Frauenkirch und o. O., 1911–1920. Zusammen 16¾ SS. auf 17 Bll. Gr.-4° bis gr.-8°. Mit einer viertelseitigen Handzeichnung, 5 e. adr. Kuverts und einem Exlibris. – Inhaltsreiche und freundschaftliche Korrespondenz mit Maria Schmidt(-Hell) in Magdeburg, der Gattin des Kunsthistorikers Paul Ferdinand Schmidt, damals Direktorialassistent am dortigen Kaiser- Friedrich-Museum und später Direktor der Städtischen Sammlung Dresden. I: „Eben dabei ein neues Exlibris zu schneiden, erinnere ich mich, dass Sie seinerzeit, als ich bei Ihnen war, den Wunsch aussprachen, eines zu besitzen. Ich würde Ihnen nun sehr gern eins machen. Ich mache gewöhnlich 2 bis 3 Platten, aus denen Sie Sich dann selbst, das Ihnen liebste aussuchen würden. Der Preis würde ca 80 bis 100 M. betragen. Die Platten bleiben natürlich Ihr Eigentum [...] Was machen denn Ihre Pensionäre, unsere Bilder, gefallen Sie Ihnen, haben Sie viele Kämpfe und Diskussionen damit? Ich bin sehr froh, dass sie in einem so schönen Hause hängen dürfen [...]“ (Br. v. 21. Juni 1911; beiliegend ein Exlibris, Linolschnitt, 59:39 mm, weiblicher Akt auf Zirkustrommel). Die erwähnten „Pensionäre“, d. s. wohl einige „Brücke“-Bilder, hingen in dem im Jahr zuvor von Heinrich Tessenow für das Ehepaar Schmidt entworfenen „Haus zum Wolf“. – II: „Ich hoffe selbstverständlich, dass Sie mich aufsuchen, wenn Sie nach Dresden kommen, bitte teilen Sie dann den Tag Ihrer Ankunft mit, damit ich sicher da bin. Heckel wird wohl dann auch wieder da sein. Er ist im Moment verreist. Ich freue mich sehr wenn Sie kommen, die Möglichkeit sich mit ‚Menschen’ zu unterhalten fehlt hier fast gänzlich. Ich habe bisher für signierte Abdrücke 8 bis 10 M verlangt. Wenn das aber für Ihren Bekannten zu teuer ist möchte ich die Preisbestimmung ganz in Ihre Hände legen. Ihre Zeilen machen mir eine grosse Freude. Dass Sie unsere Bilder geniessen können, das ist der beste Gegendienst für uns. Das Pekuniäre ist das notwendige Übel, das uns so oft herunterdrückt [...]“ (Br. v. 28. Juni 1911). – III: „[...] eben kommen meine und Heckels Bilder von Ihnen, ich danke Ihnen für die frdl. Übersendung, hoffentlich hat es Ihnen nicht zuviel Mühe gemacht, ich sende Ihnen sofort die von Herrn Doktor ausgesuchten 4 Arbeiten von mir [...] Ich werde vermutlich mit Heckel in Cöln die Kapelle im Sonderbund ausmalen und fahre deshalb in diesen Tagen dorthin [...]“ (Br. v. 13. Mai 1912). – IV: Wohl über Entwürfe für Webereien: „Das ist eine ganz famose Idee von Ihnen und werde ich sehr gern für die Arbeit Entwürfe machen [...]“ (Br. v. 2. September 1912). – V: Nach der Trennung Maria Schmidts von ihrem Mann, Kirchners Nervenzusammenbruch 1915 und mehreren Klinikaufenthalten seit 1917 in der Schweiz lebend: „Da ich infolge meines Leidens seit vielen Jahren ganz zurückgezogen lebe, hatte ich in der Tat nichts von Ihrem Schicksal gehört und ich wusste doch damals, dass im Haus zum Wolf Sie die seelisch treibende Kraft waren. Ich hatte schwere Jahre zu durchkämpfen, in denen mein Körper schliesslich zusammenbrach, so dass ich heute mit einem unheilbaren Leiden nur noch eine Ruine bin. Das einzige was mich hält ist meine Arbeit. Ich bin in dieser gerade durch das Leiden wohl weiter gekommen, fast hin zu dem Punkt, wo die Möglichkeit des sich verständlich machens dem Aussenstehenden aufhört. Doch ich möchte auf Ihre Frage antworten und Ihnen sagen was nach meinem Glauben der Weg sein könnte, den Sie in der Weberei machen sollten. Der ‚modernen Kunst’ fehlt die geeignete Umgebung in Zimmereinrichtung und gerade in Teppichen. Sie wissen, dass man sich bis heute damit beholfen hat die orientalischen Teppiche in Europa zu modernen Zimmern zu nehmen. Sie wissen, dass diese heute so selten und so teuer sind, dass es bald keine mehr giebt. Für die neuen Bilder sind auch sie schon veraltet. Sie wissen wohl auch, wie diese Teppiche entstanden sind. Indem die orientalischen Frauen in ihrem Geiste die Kunstformen, die sie vor Augen hatten, umformten, daran träumten[,] sie bewegten und sie durch ihre Hände fast unbewusst wieder in das Ornament ihrer täglichen geduldigen Arbeit, ihrer Teppiche fliessen liessen. Sie schufen damit ein neues Kunstwerk ganz rein, ganz sinnlich und doch ganz frauenhaft im Aufgehen in der Kunst ihrer Zeit. Das fehlt uns heute bitter und es gäbe wohl keine grössere Aufgabe als diese, die heutige Kunstform ins Leben zu bringen. So dächte ich mir heute Ihre Arbeit nicht mechanisch von Bild oder Entwurf zu kopieren sondern von der Technik des Webens geleitet die Farben und besonders die Formen, die Ihnen vor Augen schweben von den Bildern, die Sie gern haben, in die Teppiche zu weben. Sie würden dadurch die Freiheit der Möglichkeiten haben alle Ihre Empfindungen schaffend zu gestalten. Der Ausgangspunkt der Arbeit wäre eine bestimmte Farbreihe, z. B. blau rot rosa schwarz oder grün gelb orange braun oder sonst wie [...] [folgt die Federzeichnung eines Teppichs, ca. 90:210 mm] [...] Ich weiss nicht, ob ich mich verständlich darüber ausgedrückt habe und ob Ihnen diese Art überhaupt sympathisch wäre. Es giebt natürlich 1000 Möglichkeiten. Da ich seit vielen Jahren vollkommen zurückgezogen lebe, kenne ich leider keinen Maler, den ich Ihnen in Sicherheit nennen könnte, der wirkliches Interesse an solchen Dingen hätte. Soweit ich sehen kann sind die meisten durch die jetzt so leichten Erfolge geblendet entsetzlich ungebildet und faul geworden [...]“ (Br. v. 9. März 1920).