Brief m. e. U.
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Leo Trotzki (1879-1940), sowj. Revolutionär; Begründer der Roten Armee. Brief m. e. U., „Ihr L. Trotzki“, o. O. [Royan], 11. Dezember 1933, eine Seite gr.-4°. Faltspuren. Leicht fleckig. Inhaltsreicher Brief an den Genossen Ludwig Lore: „[…] Ich schreibe Ihnen heute in einer sehr wichtigen Sache. Sie kennen den Namen Maria Reese wohl aus der Presse. Gewesene linke Sozialdemokratin, spaeter Kommunistin, hat sie sich im Laufe des letzten Jahres zu uns entwickelt, alle Bruecken zur Komintern abgebrochen, und ist daher von allen von der Komintern direkt oder indirekt kontrollierten Organisationen mit wildestem Hass gehetzt und verfolgt. Fuer Reese wie fuer manchen anderen stellt sich die persoenliche Frage: was nun? Reese ist eine sehr gute Massenrednerin, eine lebendige Journalistin und hat bedeutende politische Erfahrung. Wohin koennte sie sich gegeben? Etwa in die Vereinigten Staaten? Wir wissen hier sehr gut, dass die Vereinigten Staaten laengst und gruendlichst aufgehoert haben, das Gelobte Land zu sein. Vielleicht waere es aber doch moeglich, dass sie sich in Milwaukee oder anderswo etabliert? Sie spricht englisch. Die Frage des Visums ist eine Schwierigkeit fuer sich. Genossin Reese koennte sich in die Vereinigten Staaten einheiraten. Zu diesem Zweck aber muesste man jemanden finden, der nach Europa kaeme und fuer die Genossin Reese das Visum verschafft. Was meinen Sie darüber? Welchen Rat koennten Sie geben? Die Lage der deutschen Emigranten ist ueberhaupt sehr schwer, da die Emigration mit der Krise zusammenfaellt. Die Lage der Emigranten, die zur Linken Opposition gehoeren, ist aber wirklich tragisch, denn die buergerlichen Hilfsinstitutionen interessieren sich meistens nur fuer juedisches Journalisten, pazifistische Schriftsteller usw. Die stalinistischen Hilfsorgane helfen nicht nur unseren Genossen nicht, sondern schneiden ihnen mit den ihnen eigenen niedertraechtigen, raffinierten Mitteln jeden Zutritt zu den Hilfsquellen ab […] Ich bedaure noch immer, dass die boesen Umstaende unsere Zusammenkunft in Paris unmoeglich gemacht haben […]“ – 1929 musste Trotzki die Sowjetunion verlassen. Ein ungeklärter Brand seine Hauses auf Prinkipo veranlasste ihn, im Sommer 1933 vorerst nach Frankreich zu ziehen, das ihm als einziges Land Asyl gewährte. Maria Reese war Mitglied des Reichstags, brach 1929 mit der SPD und wurde Abgeordnete der KPD. Die bekannte Rednerin war eine enge Freundin von Clara Zetkin. Als ranghöchste KPD-Funktionärin wechselte sie 1933 zur Linken Opposition und war vorübergehend in die internationale Leitung der trotzkistischen Organisation kooptiert, aus der sie zurücktrat. Beiliegt: engl. Übersetzung.