E. Brief mit U.
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Rainer Maria Rilke (1875–1926), Austrian poet. ALS. Val-Mont, 20 March 1926. 8°. 8 pp. on 2 double leaves. – Fine, long letter to the Swiss critic, editor and literary historian Eduard Korrodi (1885–1955), written in the last year of the poet’s life. Rilke had entered the Valmont sanitarium late in 1925 and was to remain there until the end of May. Rilke writes that in general, as Korrodi is certainly aware, he never reads what others write about his work, so as not to endanger his creative autonomy, but as he has just received the last galleys of his forthcoming volume of French verses (“Vergers suivi des Quatrains Valaisans”, to be published in the NRF collection “Un Œuvre, un Portrait”) and fears that this volume will renew or even add to the reproaches leveled against him, he endeavors to outline the true circumstances of his latest work, so that Korrodi might be in a better position to represent his cause: “Das Absurde erscheint mindestens überflüssig; und in diese Rubrik, des überflüssig Absurden, müßte ich die Vermutung einstellen, zu denen meine Versuche, einer nicht ursprünglich meinigen Sprache ein Eigenes und Eigentümliches abzuringen, den Vorwand geboten haben”. Rilke continues to discuss the book, which forms the principal part of the poet’s work in French, explaining the haunting impression which Switzerland has made on him, and also describing his experience of writing in a foreign language: “Es ist schließlich niemand (nicht wahr?) verpflichtet zu wissen, welche Bedeutung die große schweizerische Gastfreundschaft, nach jenen Jahren tiefster Verstörung und Unterbrechung, für die Fortsetzung meines Lebens und meiner Arbeit mehr und mehr annehmen sollte; und ich frage mich, ob für mich eine Pflicht besteht, mich über diese Fügungen auszusprechen? Ich hielt es für hinreichend, ihre Ergebnisse, nach und nach, vorzulegen. Zu diesen gehört, nach den Sonetten an Orpheus und dem Band der Elegien, auch diese Sammlung französischer Verse, die ich recht passend mit dem (von der Königin Christine von Schweden für gewisse Aufzeichnungen gewählten) Titel ‘Nebenstunden’ hätte benennen dürfen. Nebenstunden: in denen gleichwohl ein Hauptgefühl sich geltend machte. Das Gefühl für die reine und großgeartete Landschaft, aus der mir, in Jahren der Einsamkeit und Zusammenfassung, ein unaufhörlicher und unerschöpflicher Beistand zugewachsen war. Abgesehen von jenen frühesten jugendlichen Versuchen, in denen die Einflüsse meiner [P]rager Heimath sich durchsetzen wollten, hatte ich mich nie mehr hingerissen gefühlt, eine erlebte Umgebung unmittelbar im Gedicht zu rühmen, sie zu ‘singen’; nun erhob sich, im vierten dritten Jahre meines dort Angesiedeltseins, aus mir eine walliser Stimme, so stark und unbedingt, daß die unwillkürliche Wortgestalt in Erscheinung trat, bevor ich ihr das Mindeste gewährt hatte. Nicht um eine beabsichtigte Arbeit handelt es sich hier, sondern um ein Staunen, ein Nachgeben, eine Überwältigung. Um die Freude, mich unvermutet an einer mehr und mehr erkannten Landschaft zu bewähren; um die Entdeckung, mit ihr umgehen zu dürfen im Bereich ihrer eigenen Laute und Akzente. Und ganz zuletzt, wenn alles erwähnt sein soll, um die beglückende Erfahrung, jünger zu sein, fast jung im Gebrauch einer zweiten Sprache, in der man bisher nur aufnehmend oder praktisch betätigt gewesen war und deren steigender Überfluß (wie man das ähnlich, in jungen Jahren, an der eigenen erfahren hatte) einen nun, im Raume des namenlosen Lebens, zu tragen begann. So ist also, seinen Ursprüngen nach, dieses Buch Gedichte zunächst ein schweizerisches Buch, und es war mir recht, daß, neben dem von Freunden gewählten Titel ‘Vergers’, der Name der größeren Gedicht-Gruppe, um die herum die übrigen Verse sich angesetzt hatten, der ‘Quatrains Valaisans’, auf dem Umschlag mit zur Geltung kommen soll [...]”. – With tiny, insignificant tears and occasional ink smudges.