Hoffmann, Heinrich
deutscher Psychiater und Kinderbuchautor, Verfasser des Struwwelpeters (1809-1894). Eigenh. Brief mit Unterschrift. Frankfurt. Gr.-8vo. 5 1/2 pp. Faltspuren mit leichten Einrissen.
$ 6,071 / 5.500 €
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„Sehr geehrte Frau Senator! ich brauche Sie wohl nicht zu versichern, daß mir Ihr Brief aufrichtige, tiefe und warme Freude gemacht hat. Ich danke Ihnen dafür auf‘s Herzlichste. Ich habe den kleinen Aufsatz in der Gartenlaube eigentlich mit Wiederstreben geschrieben, aber die Aufforderung der Verleger war so dringend, daß ich es doch that. Und nun hat das Blatt für mich die unangenehme Folge gehabt, daß ich an allen Ecken und Enden um Autographen gebeten wurde; nun das muß man sich am Ende gefallen lassen, und kann die Bettelbriefe in den Korb werfen, - aber auch frohe Überraschungen hat es mir verursacht, daß alte liebe, seit Jahren stumme Freunde nun auferstanden sind, und sich des schneeweißen Doctor in Frankfurt erinnern- und das hat mich wirklich glücklich gemacht.
Und ein solches Auferstehungsfest, eine solche freudenvolle Rückkehr in eine schöne Vergangenheit, fast bis in die frühen Gymnasialjugendjahre hat mir Ihr lieber Brief herbei gerufen.
Mit Genugthuung erfahre ich, daß es Ihnen persönlich gut geht, und daß das in schonende Weise auch zu Ihnen getreten ist, und daß es den Ihren allen gut durch mehre Generationen ergeht, Ich kann auch von uns gleich Günstiges melden. -
Meine Frau hielt sich trefflich; sie macht ihre Besuche rüstig zu Fuß von einem Ende der Stadt zum anderen, liest, obgleich sie an einem Auge leider staarblind ist, doch noch den halben Tag bis spät in die Nacht um 11 Uhr mit einem Vergrößerungsglas dicke Bände durch. Leider erfährt sie, was wir alten Leute erfahren müssen, es sterben ihr ihre besten Freundinnen vorweg weg, so vor einigen Monaten ihre treuste u[nd] älteste, die Frau Professor Schroedter in Calsruhe. Jeden Abend sitzen wir 5 noch hier zusammen Wohnenden bei einander, und lassen uns noch dem Abendessen vorlesen; das sind mir die liebsten Stunden. Erst um 11 1/2 gehen wir zu Bett; ich leider schlafe erst sehr spät ein, aber dafür weit in den Morgen hinein; nun jeder treibt es [es], wie er‘s gewohnt ist. - Ich habe mich im Jahr 1888 pensionieren lassen, und wohne also nun in der Stadt, d.[as] h.[eißt] am nordwestlichen Ende derselben, wir haben die ganze Taunuskette zur erfreuenden Aussicht. Meine Tochter: Frau Dr. Hessenberg, die seit dem Jahre 1878 verwittwet ist, wohnt mit ihren Kindern bei uns, und vorzugsweise den Haushalt. Sie ist eine treffliche Hauswirthin und lebt nur für uns und ihre Kinder. Der älteste ihrer Söhne ist jetzt in England (London) im Comptoir eines Bankhauses; der zweite studiert Jurisprudenz jetzt in Berlin, die dritte ein 8jähriges Mädchen, erheitert uns da Haus; und der jüngste geht noch in die Secunda des Gymnasiums. Die Abwesenheit des 2‘ Enkels vermissen wir sehr, da er ein guter Geiger nebenbei ist, und uns mit seiner Mutter oft mit Musik die Abende verschönte. - Von der eigentlichen so genannten Gesellschaft merken und erleben wir freilich nichts, vermissen aber dieselben auch nicht im Geringsten. Mein Sohn Eduard ist nach wie vor im Kriegsjustizamt in Berlin, und hat als Geh.[eimer] Oberregierungsrath wohl das Ziel seiner Laufbahn erreicht; er ist übrigens dort sehr zufrieden, und hat viel zu arbeiten. Den etwa dort weilenden Schwestersöhnen war und ist er immer ein treuer Onkel u[nd] Berather. Leider aber bleibt er ein zufriedener Jungesell, trotz seiner 45 Jahre. - nun, Jeder muß seines Glückes eigener kluger Schmid sein! Seit 12-14 Jahren ist er dort, und alle Ferientage, 3mal im Jahre, kommt er in kindlicher Treue hierher in’s Elternhaus. Soll ich da nicht der Vorsehung dankbar sein für all den Segen?-
Doch ich will Ihnen mein Alter nicht gar zu rosig vormalen. Ich bin zwar wohl, aber doch habe ich manche Unannehmlichkeit der Jahre zu tragen, mein Gedächtniß, von je her schwach, wird mit täglich untreuer. Ich ermüde leicht, sehe zwar noch ohne Brille aber doch schlechter, und das Schlimmste des Alters ist mir auch nicht erspart; die Verlassenheit, das Gefühl der Vereinsamung: Alle meine Freunde fast 3 Geschlechter sind vor mir dahin gestorben. Die Jungen sind mir nicht gerade sympathisch, so verkriegt man sich in‘s Haus, und lebt in Büchern. Wir waren gewohnt die Herbstmonate August u[nd] Sept[ember] in Thüringen zu zubringen, wohin dann der Sohn aus Berlin regelmäßig auch sich verfügte. Doch nehme ich Abstand, das dieses Jahr zu wiederholen, der Berg ist zu weit, und ich werde wohl in eins der Taunusorte mich flüchten müssen, nach […], wo ich dann alten Katarrhs wegen auch noch laues Quellwasser trinken soll.
So habe ich Ihnen vorgeplaudert, was mir gerade in den Sinn kam oder im Herzen lebendig wurde. Nun kann ich nur noch die herzlichsten Grüße der Meinen zufügen . Möge Ihnen und die noch zu verlebende Zeit eine ruhige und erfreuende sein! Das Gedächtniß an den treuen Freund, Ihren lieben Gatten, werde ich bis zum letzten Tage in unveränderter Liebe sorglich bewahren. Freuen aber wird es mich, wenn ich von Zeit zu Zeit erfahre, daß es der trefflichen Lübecker Freundin gut geht. Mit herzlichen Grüßen Ihr unveränderlich ergebener Hhoffmann.“.