Sagen Sie nicht, dass die Gefahr für mich noch im Weiten sei. Jeder Verständige greift nach seinem Kopf, wenn er hört, daß der Nachbar den Verstand verloren hat. Und wie leicht bilden wir uns, daß uns Gott die Söhne für die Welt, die Töchter für uns schenkt, so so recht eigentlich zum Hausgebrauch. Jedes Wort was Sie schreiben fühle ich Ihnen nach. Denn ein Vater hat für eine Tochter allemal ein Mutterherz. Wie lange kann der Spaß dauern? Gerade wenn man der Welt, seiner selbst und der zweifelhaften Lebensmühen anfängt müde zu werden und sich sehnt, im Stillen sich an jungen Augen zu sonnen, wird man drum gebracht. Fortleben miteinander in der Ferne, das ist eine Birne für den Durst. Es mag mit Freunden thunlich sein, die am Ende doch der Geist zusammenführt. Was dem Blute nach zusammengehört muß sich haben oder es ist völlig aus einander gekommen. Sah ich es nicht an der Mutter meiner Frau und an ihr selbst? Sie sind krank nach einander, sie werden sich nie darin finden, daß sie sich verloren haben. Ich sehe keine Rettung für Sie als Ihre Tochter herüberzuziehen, Denn daß Sie zu ihr gehn, werden wir, wird Wien nicht dulden. Im Übrigen ist das Glück, das bei jedem Unglück zu sein pflegt, diesmal wie mich dünkt groß genug, um aus vollem Herzen Heil! zu rufen. Sagen Sie Ihrem verehrtem Mann meine allerbesten Glückwünsche und der schönen Braut verschweigen Sie ja, daß ich wie ein erfahrener Alter in Ihre verstohlen Klage eingestimmt habe. Ich wollte Sie könnten Ihre kleine Julie sehn, Sie würden alle meine Vorängste und Vorsehen leichter begreifen. Solche Augen haben mich noch mein Lebtag nicht angestrahlt. Es gehört wenig Prophetenkunst dazu, um zu sagen daß der Himmel es mit dieser holden Creatur gut im Sinne hat. Meine Frau wird diesmal redlich mein Wort halten und von den Kindern schreiben. […] Bretterverschlag um, fröstelt mich‘s so herbstlich, daß die Tinte zu stocken scheint und ich nun notdürftig auf Ihren liebenswürdigen, freilich lang genug ersehnten Brief antworten kann. Kein Wort heute von den Sabinerinnen, obwohl das oben zwischen uns verhandelte Ihnen sehr in unsre Hauptfragen einschlägt, daß ich den braven Sabinervätern Alles nachfühle, was Sie bei der ganzen bösen Collision empfinden müssen, glaube ich hinlänglich bewiesen zu haben. Aber Gott helfe mir, ich kann‘s ihnen nicht ersparen. Ist das denn etwas Neues an der Tragik, daß sie grausam, hart und auf Leben und Tod gestellt ist? Ja wenn ich diesen herben Conflict nicht in Harmonie auflösen dürfte, die peinliche Schärfung der Gegensätze nicht endlich durch Schmelzung der harten Massen versöhnen! dürfe, eine solche Tragödie muß versöhnend schließend. Und darum darf auch wie mir scheint der zweite Act von dieser Gipfelung sein, damit die Umkehr zum Frieden sich desto langsamer und gründlicher vollziehen könne. Was aber helfen all diese Betrachtungen? Wir wollen uns beides der Frage entschlagen, bis ich die Motive Schritt für Schritt von neuem und letztlich geprüft habe, was bald nach unsrer Rückkehr in die Stadt geschehen soll. Hier draußen hoffe ich mit meinem epischen Gedicht fertig zu werden. Die ganze Zeit ist in Feilen, Retouchieren Lichteraufsetzen und Umdichten hingegangen. Was Sie nun zu meinem Christenthum (die Legende der heil. Thekla liegt zu Grunde) und zu meinen […] sagen werden! Letztere habe ich gewählt weil sie so heidnisch klingen. Sie mögen sie am Ende so wenig leiden als die meißten Ihrers Geschlechtes. Wenn es uns nun aber gelinge, Ihnen so zu Herzen und zu Kopfe zu reden, daß Sie auf die Füße gar nicht achteten? Von Geibel [Emanuel, 1815-1884] weiß ich seit lange Nichts. Er ist nicht in München, wahrscheinlich in Basel bei seinem Bruder. Die Brunhild werden Sie zu Weihnacht lesen. Können Sie sich die Seebach [Marie, 1829-1897] in der Titelrolle vorstellen? - Aber warum wollen Sie denn meine Hersilia nicht spielen? Ich lasse Ihre Gründe durchaus nicht gelten. Denn im Ernst, ich habe sehr dabei auf Sie gerechnet. Ich käme dann nach Wien und ließe mir von Ihnen die Rolle herumwerfen, daß es eine Freude sein sollte. Bin ich erst mit dem Epos durch, so schreibe ich, außer den stehenden Novellen für die […], keine Zeile mehr, die nicht dramatisch wäre. Vertrauen Sie mir doch. Wie sollte es da nicht gehn? Denn wahrhaftig, ich traue Ihnen mehr als mir, da ich ein sehr sorgenvoller, selbstzweiflerischer und kritischer Mensch bin. Leben Sie tausendmal wohl, beste Frau. Die freundlichsten Grüße an die lieben Ihrigen und Baron Münch. Ihr Paul Heyse.“.