Oktober 1975 (1 StE 1/74 - StB 60-63/75) Verfassungsbeschwerde eingereicht, die vom Zweiten Senats vom 21. Januar 1976 gemäß § 24 BVerfGG - 2BvR 941/75 - verworfen wurde. In der „Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn Andreas Baader, der Frau Gudrun Ensslin, 3. der Frau Ulrike Meinhof, 4. des Herrn Jan-Carl Raspe, z.Z. Stuttgart-Stammheim, Asperger Straße 60 - Justizvollzugsanstalt“ ginge es um die Frage, „ob es Grundrechte der Angeklagten des Stuttgarter Baader-Meinhof-Prozesses verletzt, daß die Hauptverhandlung in ihrer Abwesenheit fortgesetzt wird.“
Ein Teil der Zeugenbefragung vor Gericht als Fotokopie mit Eingangsstempel 12. August 1972 (Seiten 136-1991). Zunächst wird ein Sachverständiger befragt, der Auskunft über das Abfeuern einer bestimmten Pistole gibt. Es geht bei der Befragung um den Schusswechsel im Bonnepark in Hamburg im Sommer 1971, und die Frage, ob der Angeklagte Werner Hoppe geschossen habe mit der Absicht, Personen zu treffen.
Wie in DER SPIEGEL (30/1971) festgehalten ist: „[…] Für eine kurze Spanne Zeit -- bis zum dpa-Dementi um 16.28 Uhr -- schien es, als habe sich nun auf makaber-spektakuläre Weise das Ende des militanten Meinhof-Zirkels angebahnt, den der Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit im Bundesinnenministerium, Günther Nollau, eine »Gruppe von Desperados« nannte, »wie wir sie seit Kriegsende noch nicht gehabt haben«. Doch erschossen wurde nicht Ulrike Meinhof, die sich laut Bundeskriminalamt »mit beachtlicher krimineller Energie und Intelligenz« müht, aus dem Untergrund mit Gewalt Zeichen für die Zukunft zu setzen, und der die Worte zugeschrieben werden: »Wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch .. Wir haben nicht mit ihm zu reden, das ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.« Erschossen wurde vielmehr Petra Schelm, eine Zwanzigjährige von der Peripherie des Meinhof-Zirkels -- eine Friseuse aus Berlin, die sich jahrelang nur dadurch hervorgetan hatte, daß sie perfekte Wasserwellen legte (Lehrabschluß-Note: »Gut") und sich -- so ihr Ex-Chef Horst Kapek -- auch »selber pflegte«.“
Der Tathergang ist im SPIEGEL folgendermaßen beschrieben: „Mit einem Ausweis, der auf Elli Stricker, 22, Studentin, lautete, saß Petra Schelm am Donnerstagmittag als Beifahrerin in dem hellblauen BMW (Kennzeichen: HH -- RH 285), der, von dem Hamburger Hafenarbeitersohn Werner Hoppe, 22, gesteuert, in Richtung Kiel fuhr. Um 14.15 Uhr nähert sich der Wagen auf der Stresemannstraße in Hamburg-Bahrenfeld einer der 15 Polizeisperren in der Hansestadt. Die Beamten wollen das Auto stoppen. Hoppe gibt Gas. Der Polizei-Volkswagen HH-3472. mit laufendem Motor in einer Seitenstraße geparkt, nimmt die Verfolgung auf. Knapp einen Kilometer weiter stadtauswärts, im Bahrenfelder Kirchenweg, stellt sich der Polizeiwagen quer. Werner Hoppe und Petra Schelm springen aus ihrem Auto, eröffnen, so die Darstellung der Polizei, das Feuer auf ihre Verfolger und versuchen die Flucht zu Fuß. […] In den Gärten hinter der Reineckestraße trennt sich Werner Hoppe von seiner Begleiterin. Er flüchtet durch den Keller eines halbfertigen Neubaus in die Grünanlage Bonne-Park' überklettert einen 1,50 Meter hohen Stacheldrahtzaun und hetzt, verfolgt von Polizeibeamten, über die Sandberge einer Autobahnbaustelle. Aus dem Polizeihubschrauber »Libelle 1«, der im Tiefflug über Hoppe kreist, wird sein Fluchtweg observiert. […] In einem Sumpfgelände hinter der Autobahn-Trasse ist die Jagd zu Ende. Hoppe wird von mehreren schwerbewaffneten Beamten, so ein höherer Polizeioffizier. »seitlich überwältigt«. Er wird abgeführt und ins Polizeipräsidium gebracht. Seine einzige Aussage: »Arschlöcher, miese Bullen.« Petra Schelm trifft vor dem Haus Reineckestraße 21 auf ihre Verfolger. Ein 24 jähriger Beamter ruft ihr zu: »Mädchen, mach keinen Quatsch, gib auf.« Sie gibt nicht auf. Statt dessen »läßt sie ihren Mantel fallen, der die Pistole verdeckt hatte, und schießt«, so Polizeihauptkommissar Hohler, »sofort auf unsere Leute«. Die Augenzeugin Feige, 15 Meter vom Tatort entfernt, sieht in ihrer Aufregung »so'n großen Johnnie, so'n Ballermann« in der Hand von Petra Schelm. […] Sekunden später wird das blonde Mädchen von einer Kugel aus der Maschinenpistole eines 27jährigen Beamten getroffen -- einen Zentimeter unter dem linken Auge. Ein Anwohner: »Das Mädchen kippte um. Blut strömte aus dem Kopf.« […]“
Beigefügt ist das Protokoll ein Artikel aus dem Stern, der den Prozess gegen Werner Hoppe beschreibt. Hoppe wurde 1972 in dem umstrittenen Gerichtsverfahren wegen dreifachen versuchten Totschlags zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil er bei seiner Festnahme auf die Polizisten geschossen habe. 1979 wurde Hoppe vorzeitig entlassen, weil er in der Haft schwer erkrankt war. Er hatte sich ab etwa 1978 von der RAF losgesagt.
Teil 2
Das Konvolut beinhaltet eine umfassende und breit angelegte Sammlung an Zeitungsmeldungen und -Artikeln angefangen am 9. August 1972 bis 10. April 1974.
Teil 3
2. Oktober 1974 eigenhändige Gesprächsnotiz mit „Andreas“ mit Anmerkungen, dass ein Ernährungswissenschaftler kontaktiert werden sollte. Am 13. September 1974 traten 31 RAF-Inhaftierte in einen Hungerstreik.
Schreiben des Vorsitzenden Richter am OLG, Dr. Prinzing, und Briefe der Anwaltskanzlei um Horst Mahler.
7. Oktober 1974 eigenhändige Gesprächsnotiz „in Sachen Andreas“ mit Anmerkungen über „Psychiater wg Haftschäden“ aber auch „Schallplatten“ und einer Pressekonferenz über den gesundheitlichen Zustand.
Eingegangen am 21. Oktober 1974 das Schreiben von Dr. Prinzing betreffend der Beschwerde gegen die Verfügung der Bestellung von Pflichtverteidigern.
Die Reiseliste der Anwälte vom 21.-26. Oktober 1974, um die Inhaftierten Jünschke/Grashof/Grundmann, Meins, Baader, Raspe, Roll und Augustin zu besuchen.
28. Oktober 1974 (Eingangsstempel): Ein nicht namentlich genannter Kollege gibt seine strategischen Ideen an die Kollegen weiter. „sache ist,dass ihr euch solidarisch verhaltet – das auch zum ausdruck kommt.aber prining wird natürlich die möglichkeiten des gesetzes das sie spätestens im märz haben,abwarten. […] schreib mal auf,was ihr jetzt machen werdet.die taktik ist die übliche – die anwälte spalten und die anwälte zu ner taktik veranlassen,die sie von den gefangenen distanziert.das wird nicht laufen. ausserdem ist für euch die kohle wichtig – wie es heisst.“
31. Oktober 1974 eigenhändige Gesprächsnotiz über den Gesundheitszustand einer nicht näher genannten Person: „1.) Nierenbeckenentzündung | 2.) 49 kg | 3.) Eiweiß-Fund in der Niere (nicht veröffentl.) | 4.) schlechter Zustand bei unbestimmtem ??? | 5.) Arzt Siebold hat Untersuchung gemacht | 6.) rechnet in den nächsten Tagen mit Verlegung | 7.) mehr anleiern, organisieren | 8.) Knastarzt Stachowiak: Isolat. ist Verbrechen – nach 2 Tg. rausgeflogen. hatte Behandlg. abgeleht SEE – Präparat zu Psychiatrisierung | 9.) es ist ein Gerät zu völligen Stillegung des Körpers angeschafft worden.
6. November 1974 (Eingangsstempel). „Verteidigerpost“ von Rechtsanwalt Haag über die Einstellung der Zwangsernährung bei Baader mit ausführlicher Beschreibung.
6. Dezember 1974 eine Abschrift des Antrags, die Isolation unter den Gefangenen aufzuheben.
Im Dezember 1974 verabschiedet der Bundestag verabschiedet das „Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts“. Damit wird die Höchstzahl der Wahlverteidiger begrenzt, das Verbot der Mehrfachverteidigung eingeführt, Verteidigerausschlüsse ermöglicht und eine Handhabe eingerichtet, die Hauptverhandlung ohne Angeklagte bei „verschuldeter Verhandlungsunfähigkeit“ durchzuführen. Dieser Aspekt ist Teil mehrerer Schreiben.
Der Teil endet mit eine Artikel aus DER SPIEGEL 4/1975 „Wir werden in den Durststreik gehen“. Es ist ein ausführliches Interview mit den RAF-Inhaftierten Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe. In diesem Gespräch äußern sie sich zu ihrem politischen Selbstverständnis und ihren Haftbedingungen.
HINTERGRUND
Die Hauptverhandlung im Stammheim-Prozess fand in den Jahren 1975 bis 1977 vor dem 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart statt. Vor Gericht standen die Protagonisten der Ersten Generation der Rote Armee Fraktion (RAF), Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
Am 28. April 1977 wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.
Ulrike Meinhof war ein Jahr nach Prozessbeginn, am 9. Mai 1976, erhängt in ihrer Zelle aufgefunden worden. Der ursprünglich ebenfalls mitbeschuldigte Holger Meins war bereits vor Eröffnung des Hauptverfahrens trotz Zwangsernährung an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben
Eröffnet wurde die Hauptverhandlung am 21. Mai 1975. Angesichts langwieriger Auseinandersetzungen konnte erst am 26. Verhandlungstag, dem 19. August 1975, mit der Verlesung der Anklageschrift und der Vernehmung zur Person begonnen werden. Am 39. Verhandlungstag, dem 23. September 1975, lagen dem Gericht schließlich Gutachten vor, aus denen hervorging, dass die Angeklagten tatsächlich nur zeitlich beschränkt verhandlungsfähig waren. Der Senat beschloss daraufhin unter Protest der Verteidigung, die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten fortzusetzen.
Auch der weitere Prozessverlauf war geprägt von Konflikten zwischen Verteidigung und Gericht. Kurz vor Ende der Hauptverhandlung, am 17. März 1977 (185. Verhandlungstag), wurde bekannt, dass vertrauliche Gespräche zwischen Verteidigern und den inhaftierten Angehörigen der RAF durch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg abgehört worden waren.
Am 192. Verhandlungstag wurde schließlich das Urteil verkündet. Alle drei verbliebenen Angeklagten wurden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Gegen das Urteil legte die Verteidigung Revision ein. Noch bevor über die Revision entschieden werden konnte, nahmen sich die Angeklagten in der Nacht des 18. Oktober 1977 das Leben. Mit Eintreten dieses dauerhaften Prozesshindernisses fand der Prozess sein Ende; in Rechtskraft erwuchs das Urteil nie.
Im Laufe des Verfahrens war eine Vielzahl von Verteidigerinnen und Verteidigern am Verfahren beteiligt. Ursprünglich wurden die Rechtsanwältin Marieluise Becker (Heidelberg) sowie die Rechtsanwälte Dr. Klaus Croissant (Stuttgart), Kurt Groenewold (Hamburg), Helmut Riedel (Frankfurt a.M.), Otto Schily (Berlin), Christian Ströbele (Berlin) und Rupert von Plottnitz (Frankfurt a.M.) gemeinschaftlich den Beschuldigten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit der Einführung des Verbots der Mehrfachverteidigung wurde eine neue Zuordnung erforderlich: Die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele wurden nunmehr Baader, Rechtsanwältin Becker und Rechtsanwalt Schily Ensslin, Rechtsanwalt Riedel Meinhof sowie Rechtsanwalt von Plottnitz Raspe beigeordnet..