Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
Philosoph (1770-1831). Eigenh. Brief mit Unterschrift. Berlin. 3 3/4 pp. gr.-4to. Leichter Tintenfraß (Verlust eines Wortes und einiger Buchstaben), kleine Schadstellen mit Transparentpapier unterlegt.
35.000 €
(74628)
Langer und inhaltsreicher Brief an seinen Freund, den Philosophen und Theologen (Friedrich Immanuel Niethammer) in München, der sich seit Langem, der bayerischen Verhältnisse überdrüssig, um einen Wechsel in ein protestantisch regiertes Land bemühte. Hegel, seit dem vergangenen Oktober Professor in Berlin, bedauert, nicht helfen zu können; für die neugegründete Bonner Universität „verlangt man vor Allem berühmte, gemachte Nahmen“ und in Berlin „sind solche absolute Philologen, daß da kein anderer mit einem Worte vor- und aufkommen kann“; schon gar keine Aussicht bestehe auf eine Niethammers bayerischem Amt vergleichbare Position in der preußischen Kultusbehörde.
„So werth mir, teuerster Freund, Ihr Brieff […] war, […] so schmerzlich war mir darin die fortdauernde Unzufriedenheit mit Ihrer Amtslage – und noch schmerzlicher meine Unvermögenheit, Ihnen darauf etwas zu einer Aussicht Führendes zu erwiedern […] Ich habe hier Niemand, dem ich mich darüber hätte eröfnen können außer Marheinike [sic!] […] der ungefähr ebenso wie ich in der Peripherie oder viel- mehr ausser derselben, ohne Beziehung auf die wirksame und bewirkende Sphäre steht.
– Wenn es um eine Professur in Bonn zu thun wäre, so ließe sich noch ein directes Wort anbringen, denn da soll noch immer guter Rath theuer seyn; ich habe in dieser Beziehung einmal zu reden gehabt, aber gesehen, wie es damit geht. – Es gibt der Räthe so viel von allen Seiten, deren jeder sein eigenes Urtheil und Stimme hat, und es eher übel nimmt, wenn man von solcher Angelegenheit spricht, als daß er sich dessen bedürftig fühlte; ohnehin stehe ich auch mit keinem solchen in Zusammenhang. – Sie wissen selbst, bey Anstellung eines Professors auf einer Universität erwekt sich nicht diese Umsicht von allen Seiten, und man geht leicht auf […] den Mann vom Fach; ein Anderes ist mit Geschäftsmännern, hier sind alle die, die desgleichen sind, vom Fach; vollends gehört ein Zusammenfluß eigenthümlicher Umstände dazu, daß sich ein Ruff eines Geschäftsmanns u. zwar in einer obern Behörde aus der obern Behörde eines andern Landes heraus, mache ... – An Interesse fehlte es freylich eigentl. nicht; im geistl. Departement sollen sie ihre liebe Noth mit dem kathol. Rath (Ob. Reg. Schmedding, auch Prof. des kanon. Rechts an hies. Univers.) haben, – er ist, wie Marheinike sagte, wegen dessen, was Sie in Bayern gethan, nicht Ihr Freund […] Ich muß Ihnen auch noch eine kurze Notiz von der complicirten Zusammensetzung unserer obern Ernennungsmaschine geben – Zuerst ist das Departement mit dem Minister an der Spitze, dann kommt der Staatskanzler mit seinen referirenden Räthen (woher schon Professoren ernannt worden seyn sollen, ohne daß das Ministerium etwas davon wußte –) dann die Persönlichkeit des Königs“ (Friedrich Wilhelm III.) „nicht nur mit seinen individuellen, oft sehr entschiedenen Ansichten über Sachen u. Personen, sondern auch mit seinen Kabinetsräthen. Bey einer einfachern Sache – wie etwa die Ernennung eines Professors, geht die Sache wohl etwa ungehindert seinen Gang; aber wo eine wichtigere Rüksicht eintritt, – wie bey einer höhern GeschäftsStelle gewiß der Fall ist, übt ohne Zweifel jede Instanz ihre eigne Wirksamkeit aus ...
Aber genug von diesem mir wie gesagt sehr schmerzlichen Punkte, u. umso schmerzlicher für mich, da ich Ihnen soviel, ja vielleicht Alles meines äussern Zustands schuldig bin, und an mir die Reihe wäre zu vergelten […]“
Im Folgenden über seine Lebensumstände in Berlin. „[…] Es ist überall ein eigenthümlicher Zustand; für einen ankommenden ist der Charakter der hiesigen Weise nicht ansprechend, – ein Auseinanderfallen der Menschen bey vielem gesellschaftlichen, d. h. schmaußendem Leben, – u. zwar an regelmässigen Wochentagen, zu deren vielen man in der Woche kommen kann, wenn es einem darum zu thun ist; ausser dem Schmaußen aber hat dann […] jeder zur Noth noch so viel Zeit s. Geschäfft zu beschicken. – Wir leben häuslich in Familienzufriedenheit zusammen, und ich habe insofern seit langen Jahren nicht eine so ruhige Zufriedenheit bei ordentlichem Auskommen genoßen. Als Professor habe ich nur den Anfang gemacht, es ist aber noch viel an mir u. an der Sache zu thun übrig […] – auf die Leipzigermeße soll ich noch ein Buch schreiben (mein Naturrecht in §§).
Jacobi’s Tod hat mich ausser dem persönlichen Schmerz auch darum überfallen, daß wie Sie schreiben, er öfters nach Nachrichten von mir gefragt und nun keine von mir aus Berlin mehr erhalten hat. Man fühlt sich immer verlaßen, je mehr dieser alten Stämme, zu denen [man] von Jugend an hinaufgeschaut hat, eingehen; er war einer von denen, die einen Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit sowie der Individuen formirten und die für die Welt, in der wir uns unsere Existenz vorstellen, einer der festen Halter waren […]“
Darunter und am linken Rand eine längere Nachschrift seiner Frau Marie geb. v. Tucher. „[…] Es war nicht recht daß wir so lange schweigen konnten, aber […] es war mir auch anfangs gar nicht um das Jubeln in die Welt hinaus zu thun, u. besser ists schweigen als klagen – Zeit, Gewohnheit u. guter Wille hat indeß darüber weggeholfen – ich sehe meinen Hegel zufrieden in seinem Beruf, heiter bei mir u. den Kindern u. anerkannt – u. das geht einer honeten Frau eigentl. über alles […]“
Niethammer war 1808 von Montgelas als bayerischer Zentralschulrat und Oberkirchenrat mit der Ausarbeitung eines neuen Lehrplanes für die Gymnasien beauftragt worden und hatte sogleich für Hegel die Ernennung zum Professor am Nürnberger Realgymnasium erwirkt.
Hoffmeister Nr. 355 (mit kleineren Abweichungen vom Original)..