Eigenh. Manuskript mit U. „L. F.“
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„Die Naturwissenschaft u. die Revolution“. — Stark korrigierte Satzvorlage seines von Jacob Moleschotts Buch „Lehre der Nahrungsmittel. Für das Volk“ (1850) inspirierten Aufsatzes über die Auswirkungen der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auf die Philosopie und auf die Politik.
„... Diese Schrift theilt uns mit in Volks- oder, was eins ist, menschenfreundlicher Absicht u. Sprache die Resultate der modernen Chemie über die Nahrungsmittel, ihre Bestandtheile, ihre Beschaffenheiten, Wirkungen und Veränderungen in unserem Leibe; sie hat also eigetitlich nur einen gastronomischen Zweck u. Gegenstand, u. doch ist sie eine u. zwar im höchsten Grade Kopf u. Herz aufregende, eine sowohl in philosophischer, als ethischer u. selbst politischer Beziehung höchst wichtige, ja revolutionäre Schrift. Ich ... behaupte, daß diese Schrift, ob sie gleich nur von Essen u. Trinken handelt, den in den Augen unsrer supranaturalistischen Scheincultur niedrigsten Acten, doch von der höchsten philosophischen Bedeutung u. Wichtigkeit ist. Ja, ich gehe weiter u. behaupte, daß nur sie die wahren ‘Grundsätze der Philosophie der Zukunft’ u. Gegenwart enthält, daß wir in ihr die schwierigsten Probleme der Philosophie gelöst finden. Was haben sieh nicht sonst die Philosophen den Kopf zerbrochen mit der Frage von dem Bande zwischen dem Leib u. der Seele! Jetzt wissen wir aus wissenschaftlichen Gründen, was längst das Volk aus der Erfahrung wußte: daß Essen u. Trinken Leib u. Seele zusammenhält, daß das gesuchte Band also die Nahrung ist ... Welche dornenvollen Untersuchungen hat nicht das Sein den Philosophen verursacht! ... Unnütze Fragen! Das Sein ist eins mit dem Essen; sein heißt Essen; was ist, ißt u. wird gegessen ... Die alte Welt stellte den Leib auf den Kopf, die neue setzt den Kopf auf den Leib; die alte Welt ließ die Materie aus dem Geiste, die neue läßt den Geist aus der Materie entspringen. Die alte Weltordnung war eine phantastische u. verkehrte, die neue ist eine natur- u. ebendes wegen vernunftgemäße ... Wir sehen zugleich ..., von welcher wichtigen ethischen so wohl als politischen Bedeutung die ‘Lehre von den Nahrungsmitteln für das Volk’ ist. Die Speisen werden zu Blut, das Blut zu Herz u. Hirn, zu Gedanken u. Gesinnungsstojf. Menschliche Kost ist die Grundlage menschlicher Bildung u. Gesinnung. Wollt ihr das Volk beßern, so gebt ihm statt Declamationen gegen die Sünde beßere Speisen. Der Mensch ist, was er ißt. Wer nur Pflanzenkost genießt, ist auch nur ein vegetirendes Wesen ... Daher auch bei uns der Sieg der Reaction, der schmähliche Verlauf u. Ausgang unsrer sogenannten Märzrevolution, denn auch bei uns besteht der größte Theil des Volks nur durch u. aus Kartoffelstopfer ...“ — Mit redaktionellen Anmerkungen in roter Tinte und Rötel für den Erstdruck in den - beiliegenden - „Blättern für literarische Unterhaltung“, Nrn. 268-271 vom 8.-12.XI.1850.
Gesammelte Werke, hrsg. v. W. Schuffenhauer, Band 10, S. 347-368 (mit Abweichungen nach dem Erstdruck). Den bedeutendsten und direktesten Einfluss übte Feuerbach auf die Herausbildung der marxschen Philosophie aus. Marx übernahm von ihm nicht nur die Religionskritik (die er politisch radikalisierte), sondern auch und vor allem den anthropologischen Materialismus. Dieser war für ihn die theoretische Grundlage, hinter die nicht zurückgeschritten werden durfte. Explizit bezeugen dies die Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, wo es in der Vorrede heißt: „Von Feuerbach datiert erst die positive humanistische und naturalistische Kritik. Je geräuschloser, desto sicherer, tiefer, umfangsreicher und nachhaltiger ist die Wirkung der Feuerbachischen Schriften, die einzigen Schriften seit Hegels Phänomenologie und Logik, worin eine wirkliche theoretische Revolution enthalten ist“. Auf dem Boden dieser „theoretischen Revolution“, die die materielle Wirklichkeit als die primäre erklärt und damit die idealistische Philosophie „vom Kopf auf die Füße stellt“, steht auch noch Das Kapital: „Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“
Den grundlegenden Unterschied deutet Marx bereits 1843 in einem Brief an Arnold Ruge an, wo er über Feuerbachs Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie schreibt: „Feuerbachs Aphorismen sind mir nur in dem Punkte nicht recht, dass er zu sehr auf die Natur und zu wenig auf die Politik hinweist. Das ist aber das einzige Bündnis, wodurch die jetzige Philosophie eine Wahrheit werden kann. Doch wird’s wohl gehen wie im sechzehnten Jahrhundert, wo den Naturenthusiasten eine andere Reihe von Staatsenthusiasten entsprach.“ Für Marx ist das „Bündnis mit der Politik“ entscheidend, denn für ihn geht es darum, „die Welt zu verändern“. Dieser Primat der Politik lässt ihn in kritischer Absetzung zu Feuerbach einen eigenen theoretischen Weg suchen, der sich in den Thesen über Feuerbach (1845) andeutet: „Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, dass der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefasst wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv.“ Das „Wesen“ des Menschen interessiert nicht in seiner Naturgegebenheit, sondern als „Ensemble der menschlichen Verhältnisse“. Die praktische Konsequenz der Philosophie ist für Marx deshalb nicht wie für Feuerbach „Anthropologie“, sondern Kritik der Ökonomie und Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse. Um die historischen Entwicklungsprozesse und die konkreten gesellschaftlichen Antagonismen zu beschreiben, greift er auf Konzepte Hegels wie die Die Entfremdung der Arbeit und die Dialektik zurück.
In der marxistischen Literatur herrschte bis vor wenigen Jahrzehnten die Tendenz vor, Feuerbachs Materialismus lediglich als fortgeschrittenste Stufe des vormarxschen Materialismus anzuerkennen. Entsprechend galt der marxsche Materialismus als theoretisch höher entwickelt, während man Feuerbach vorwarf, er habe Wesentliches „übersehen“ oder nicht zu leisten vermocht. Die verbreitete Aneignung der marxschen Perspektive verstellte den Blick für die Kernpunkte der Philosophie Feuerbachs, so dass von dieser oft nur Rudimente übrigblieben. Das im 20. Jahrhundert erworbene Wissen über die menschliche Psyche und die Humanbiologie einerseits, die vom „tätigen“ Menschen an der Natur angerichteten Schäden andererseits verschafften in letzter Zeit Feuerbachs eindringlichem Verweis auf „Natur“ und „Sinnlichkeit“ eine neue Legitimität. So steht Feuerbachs anthropologischer Materialismus heute wohl gleichberechtigt neben Marx’ historischem Materialismus.