Eigenh. Brief mit U.
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Ebenso umfangreicher wie gehaltvoller Brief an den mit ihr befreundeten Philosophen Hermann Weiße (1801–1866) in Leipzig, der ihr sein Buch „Die evangelische Geschichte, kritisch und philosophisch bearbeitet“ – das durch D. F. Straußens „Leben Jesu“ angeregt worden war – hatte zusenden lassen: „[...] Ein Erdreich was der gute Strauß umgarrjolt [?] hatte und lauter Sand hervorbrachte, das haben Sie mit der Harke geebnet und sorgfältig eine neue Saat vorbereitet. Ein jeder fängt seinen Weg an da wo er in den Verstand geboren ist; manche Wege laufen zusammen, dann übereilt einer den andern, und der ein Ziel erreicht ist geprießen [!]. Ich steh da am Weg und seh sie vorbeispringen wie die Haasen [!] nach Philosophie, nach Poesie, nach Kunst und Wissenschaft; und ich bleib stehen, und denke wenn mich Gott doch nur von selber erleuchten wollte; denn ich kann nicht mitspringen, weil ich gar kein Ziel erkenne [...]“. Es folgt das Gleichnis eines Mannes, der am frühen Morgen mit einem Sack auf den Berg steigt, um Sonnenstrahlen einzufangen, die er, ins neblige Tal zurückgekehrt, dann dort auspackt und erstrahlen läßt, doch „husch wars wieder dunkel, er eilte noch einmal den Berg hinan und wollte nun die Strahlen mit einer Schlinge am Bein, im Sack befestigen. Da theilten sich die Nebel und die Sonne war so weit und breit daß sie nicht mehr in den Sack ging. So geht mirs, oft glaub ich einen Gedanken der Weisheit eingefangen zu haben und möchte ihn aussprechen, aber dann merk ich daß es nichts ist als Erinnerung einer günstigen Minute, in der uns die Weisheit anstrahlte, und daß wir sie nur dann zurückstrahlen können, wenn sie uns anleuchtet [...] Ich fühls wenn ich Ihr Buch durchblättere [...] daß man denen Dank wissen muß die, mit reinem Gewissen die Nebel zertheilen, um die Wahrheit ins Leben treten zu lassen [...] und was einmal dem Menschen gewiß ist das ist eine neue Welt in die er geboren ist, in der sein Geist ein neues Leben erfährt, sich entwickelt, neue Möglichkeiten erobert. Ach man sollte an nichts verzweifeln da die Weisheit nicht verzweifelt an dem Eigensinn, an der Boßheit [!] des Unverstandes. Und gewiß ist Ihr Buch ein Schleichhändler der den Samenstaub vom verbotenen Baum in das Reich der Philister schaukelt; mögen ihn günstige Winde umherstreuen, daß er gedeihe [...]“. – Weiters über ihre Arbeit an der gegenüber der deutschen Fassung erweiterten englischen Ausgabe ihres „Tagebuchs“: „[...] Ich hab bis heute an der Kette gelegen im englischen Dictionair. Der lezte Bogen meines Tagebuchs nebst einer Vorrede an die Engländer ist heute unter die Presse gekommen; Ich hab noch manches ungedruckte aus Blättern damaliger Zeit übersezt und der englischen Ausgabe hinzugefügt; so daß wohl ein halber Bogen neuer Text dabei ist. – [I]ch hab die englische Sprache die ich n[icht] gelernt habe nach eigner Eingebung gewendet wie es mir [harmo]nisch und deutlich erschien [...]“. – Mit kleinen Randläsuren; Bl. 2 mit einem kleinen Ausriß durch Siegelbruch (geringf. Textverlust wie oben ergänzt, das Papierstück mit dem Text jedoch vorhanden).
Bettina – oder auch Bettine – von Arnim war die Schwester des Dichters Clemens Brentano (1778-1842) und Ehefrau des Schriftstellers Achim von Arnim (1781-1831). Sie gilt als eine bedeutende Vertreterin der deutschen Romantik. Ob und inwiefern Bettina von Arnim, damals Brentano, an der Herausgabe der Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ durch ihren Bruder Clemens und Achim von Arnim beteiligt war, lässt sich nicht sagen. Zeitgleich aber arbeitete sie an Arnims Zeitung für Einsiedler mit.
Achim und Bettina von Arnim galten als Traumpaar der Romantik. Ihr Mann starb früh und sie war mit 46 Jahren eine Witwe, die sich auch sozial und politisch engagierte. Ihre Berliner Wohnung wurde zum Treffpunkt für die literarische und intellektuelle Szene. Bettina von Arnim war bekannt für ihr Netzwerk an bedeutenden Persönlichkeiten. 1810 begegnete sie Ludwig Tieck und Ludwig van Beethoven, sie pflegte engen Kontakt zu den Brüdern Wilhelm und Jacob Grimm, sie verkehrte mit Felix Mendelssohn Bartholdy, dem jungen Johannes Brahms, Joseph Joachim und Robert Schumann und hatte Kontakt zum preußischen König Friedrich Wilhelm IV., vor allem im Zusammenhang mit ihrem Eintreten für die Menschen in Berliner Elendsquartieren (1843).
Bettina von Arnim gab ihre Briefwechsel mit Goethe, Karoline von Günderrode, Clemens Brentano, Philipp von Nathusius und Friedrich Wilhelm IV. in zum Teil sehr stark bearbeiteter Form als Briefromane heraus.