Bei uns im Stabe bekam jeder Mann einen grossen Teller mit Pfefferkuchen, Cigarren und anderen schönen Dingen. Ein herrlicher Christbaum brannte im Zimmer und auf dem langen Tische waren grüne Nadelholzzweige und kleine Christbäumchen verteilt. Wir sangen unsere alten lieben Weihnachtslieder und Herr von Stoessel hielt eine Rede, die schön und tief empfunden war und die wie ein Hurrah auf Kaiser und Vaterland ausklang. […]
Unteroffiziere und Gefreiten hatte ich ausserdem für jeden einzelen ein kl. Geschenk: Schokolade, Kaffeewürfel, Theetabletten, etc. etc.: alles Sachen, die ich im Überfluss hatte und nicht mehr in dem Maasse brauche. […]
Wie gesagt, ich musste gestern nach Comines aufs Regiment. Dort erfuhr ich offiziell, was ich vorher schon inoff. wusste, nämlich dass unsere Brigade für einige Zeit abgelöst wird aus der vordersten Linie und für ein paar Wochen zur Erholung der Gesundheit und Nerven zum Wachtdienst in eine belgische Stadt kommt. Das halbe Regiment 70 wurde heute Nacht um 3 Uhr aus dem Schützengraben abgelöst durch die andere Hälfte. Die abgelöste Hälfte war um 6 Uhr schon unterwegs in der Richtung auf Lille, um dort aus noch heute per Bahn ein bisschen weiter transportiert zu werden. Die andere Hälfte bleibt jetzt noch drei Tage im Graben und folgt dann nach. Nun aber die Schwierigkeit mit uns. Die nachfolgenden d.h. die das Reg. im Schützengraben ablösenden Truppen haben keine Masch.gewehre. Meine 4 Gewehre müssen bei unserer sehr wichtigen Stellung unter allen Umständen vorne bleiben. Sie sind nicht zu entbehren. aber so schlimm ist es nicht. Aber ich muss mit meiner Komp. hier bleiben, das neu kommende Reg. muss Mannschaften kommandieren und ich resp. meine Leute müssen die neuen Mannschaften am Masch.gewehr ausbilden. Kann ich mit gutem Gewissen behaupten: die neuen Leute sind ausgebildet, so können wir den Antrag stellen, entlassen und zu unserer Truppe zurückgeschickt zu werden. Vorläufig trete ich also in den Verband des neuen Reg. ein. […]
Jetzt kann ich noch ein bisschen schreiben. Es ist 1/2 11 Uhr abends, tiefe Stille, nur in ganz weiter Ferne hie und da schwaches Kanonengeräusch. Ich bin ganz allein, im gemütlichen Zimmer […]
Vorläufig sitzt ich hier, am 25. Dez, allein mit Dir, meine Liebe und denke an so manches erlebte der letzten Monate und denke zurück an die letzten schönen Jahre, die wir zwei miteinander verbracht haben. Ich rauche eine gute Cigarre - die […] wurden gestern verkonsumiert -, habe deutschen Pfefferkuchen aus Deinem 500g Brief vor mir und neben mir Cacao, den Rehfeld gebraut hat, bevor er ging. - Als ich gestern nach Comines fuhr mit meinem Masch.gewehrwagen, da flogen gerade noch eine Anzahl grosser Granaten in Comines ein, der üble Geruch stieg auf, man hatte das prickelnde Gefühl des Kriegs, wie alle Zeiten vorher. Am Abend wurde es ruhig. Und heute war es hier auch ruhig. Kein Gewehrschuss, keine Kanone, weder von uns noch vom Feinde störte die Weihnachtsstimmung hier in der Gegend. Dabei denke man an die Situation von gestern. Alles bis aufs kleinste für den event. Alarm vorbereitet. Jeder einzelne instruiert, dass er aufpassen müsse bis aufs Äusserste. […] Auch unsere Soldaten im Schützengraben haben Weihnachten gefeiert. Wie’s angefangen hat, wer weiss es. Ein bayrischer Jäger fing an, nachdem die Engländer gegenüber Fröhliche Weihnacht gerufen hatten, nachdem Leute von uns einen Christbaum an einem Stab aus dem Graben herausgestreckt hatten. Der bayr. Jäger kroch vor und guckte den Engl. in ihren Graben. Vielleicht kroch er auch nur etwas nach vorne und sie reifen ihn heran. Er kam zurück mit Cigaretten und Tabak. Man glaubt ihm; er ging wieder hinüber, brachte mehrere schottische Hochländer in ihren kurzen Röckchen mit, die vor unseren Schützengräben halt machten. Unsere Leute kamen zu ihnen. Kein Schuss wurde abgefeuert. Es wurden Cigaretten geraucht, es wurden Lichter auf den Rand des Grabens gestellt, man unterhielt sich. Man unterhielt sich nicht nur gestern abend, sondern auch heute. Offiziere unseres Reg. gingen hinüber, die Truppen kamen in Trupps heraus. Der Krieg war aufgehoben. Der Weihnachtsfriede hatte es gemacht. Es ist heute noch kein Schuss gefallen hier, auch heute Abend nicht. Es war ein Burgfriede, der umso fester gehalten wurde, als man das Gegenteil erwartet hatte. Meine Masch.gewehrleute sagen, des wir wohl auch morgen nicht geschossen werden. Die Engländer hätten erzählt, sie würden jetzt wieder von Franz. abgelöst. Ein Glück, dass auch unsere Leute abgelöst werden. Soll man sich nun über all das freuen, oder soll man entrüstet sein. Ich selber freue mich im tiefsten innern über diesen Frieden von 1 Tag. Äusserlich halte ich den Leuten Vortrag, dass man das nicht dürfe, auch nicht für den einen Weihnachtstag. Er sei zu gefährlich etc. etc., innerlich halte ich es für schön. Aber ein Glück, dass sie abgelöst werden. Es wäre hart, auf Leute zu schiessen, sie mit dem Kolben totzuschlagen, sie zu erstechen, nachdem man vorher Cigaretten und Esswaren ausgetauscht hat. Also darf es nicht sein; es gilt mehr hier, und man muss ein Gefühl unterdrücken. Ich selbst bin froh, dass ich nicht vorne war um diese Zeit, ich hätte es wohl auch so gemacht.
Kann man sich grössere Gegensätze denken, als die beschriebenen und das, was man täglich erlebt und sieht. Vor ein paar Tagen war hier in Warneton eine Komp. zum Appell aufgetreten. Ein feindlicher Flieger sah sich das an, kurze Zeit danach kamen ein paar Granaten. Eine flog neben den Soldaten in ein Haus, tötete 9 und verwundete 19, meist schwer. Es war weiter unten, in unserer Strasse. Ein Offizierstellvertreter, mit dem zusammen ich eintrat, aus der 9. Komp., er wurde vor ein paar Tagen im Schützengraben getroffen, er ist tot. Der eine Unteroffizier, der seiner Zeit den Oberleutnant Rode von der Chaussee wegholen wollte, und der verwundet wurde, er ist jetzt daran gestorben. […]
Du wirst auch das Unglück aus dem hahnschen Institut wissen, dem Sacker zum Opfer gefallen ist, und wobei Jost seine recht Hand verlor. Liebe Edith, nicht nur im Kriege geht’s traurig zu. Auch in Deutschland gibt’s genug des Leides. […]“ - Komplette Transkription und Übersetzung in gedr. Form vorhanden..